Il Portale storico della Presidenza della Repubblica

Pubblicato il 2 giugno 2018, il Portale storico della Presidenza della Repubblica rende progressivamente disponibile il patrimonio conservato dall'Archivio storico.
Archivi, documenti, fotografie, dati, percorsi tematici e risorse digitali trasmettono la memoria dei Capi dello Stato dell'Italia repubblicana; testimoniano in modo straordinariamente capillare le attività, gli interventi e i discorsi dei Presidenti della Repubblica nello svolgimento delle funzioni che la Costituzione assegna loro; testimoniano le attività dell'Amministrazione e dei suoi protagonisti, che operano a supporto della figura presidenziale; rappresentano il Paese che ne costituisce lo sfondo; raccontano le vicende del Palazzo del Quirinale, ieri palazzo dei papi e dei re, oggi sede della massima carica dello Stato repubblicano.

I numeri del Portale: 70.780 eventi, tra udienze, impegni pubblici e privati dei Presidenti; 1.729 visite in Italia e 570 viaggi all'estero; 16.269 pagine di diario digitalizzate; 440.016 immagini; 25.111 immagini che documentano la storia d'Italia dalla Monarchia alla Repubblica; 10.445 audiovisivi; 16.918 complessi archivistici; 6.865 discorsi e interventi; 5.325 atti firmati; 55.759 Provvedimenti di grazia; 542 comunicati della Presidenza del Consiglio dei Ministri dal 1945 al 1950;11.835 comunicati delle presidenze Ciampi e Napolitano; 168.952 comunicati di cui 28.360 indicizzati dalle presidenze Gronchi a Scalfaro; oltre 500 volumi in Materiali e pubblicazioni per un totale di 50.000 pagine in formato digitale; 75 soggetti produttori e 516 strutture organizzative; 131 biografie di consiglieri e consulenti; 1.665.718 triple caricate sull'Endpoint (aggiornamento del 19 aprile 2024)

 

giovedì
06 luglio 2000

Rede des Staatsprasidenten der Republik Italien Carlo Azeglio Ciampi anlablich der Verleihung der Ehrendoktorwurde der Universitat Leipzig (Deutsch)

Sehr geehrter Herr Bundespräsident,


Sehr geehrter Herr Ministerpräsident des Freistaates Sachsen,


Magnifizenz,


Sehr geehrter Herr Bürgermeister,


meine sehr geehrten Damen und Herren,


die schönen Worte, mit denen meine hoch verehrten Vorredner meine Bemühungen um den europäischen Integrationsprozess in Erinnerung gerufen haben, veranlassen mich, Ihnen bereits an dieser Stelle eine tiefe Überzeugung meinerseits zu bekunden.


Wenn wir wirklich davon überzeugt sind, daß Europa zum vollen Bewußtsein seiner eigenen Zivilisation zurückgekehrt ist, dann kann das 21. Jahrhundert zum Jahrhundert Europas werden, zu einem Jahrhundert seiner fundamentalen Freiheiten, des Gleichgewichts zwischen sozialer Solidarität und wirtschaftlichem Fortschritt, der Achtung der Rechte und Normen für jedermann, seiner Fähigkeit, den Frieden zu leben und ihn nach Jahrhunderten voller Bruderkriege zu behaupten.


Noch heute bin ich der Universität Leipzig dankbar dafür, dass sie einen jungen italienischen Studenten aufgenommen hat, der von November 1940 bis Juli 1941 aus den Quellen der deutschen Schule der klassischen Philologie schöpfen durfte, deren Wiege Leipzig neben Heidelberg und Königsberg war.


Es waren dramatische Zeiten. Ich erinnere mich gut an die Erschütterung eines deutschen Studienfreundes, der mir damals sagte, ?wir werden noch andere Schlachten gewinnen, aber den Krieg werden wir verlieren", und mir damit die Existenz eines anderen Deutschlands enthüllte, das sich der Tyrannei widersetzte. Aber schon damals waren wir intuitiv der Überzeugung, daß die unzerstörbare Verbindung zwischen deutscher und italienischer Kultur und klassischen Werten die Allianz von Nazismus und Faschismus überleben wird.


Unsere beiden Kulturen spielen wieder eine führende Rolle in Europa, sie sind stolz auf ihre Einzigartigkeit und offen für den Dialog und die Toleranz.


Die östlichen Gebiete Deutschlands, die Opfer schrecklicher Verwüstungen hier in Leipzig und noch schlimmer in Dresden wurden, haben den Sturz des Kommunismus ohne Gewalt beschleunigt und leisteten somit einen unschätzbaren Beitrag zur Vereinigung Deutschlands.


Ich bin ganz besonders froh darüber, daß mir diese Ehrendoktorwürde - für deren Verleihung ich seiner Magnifizenz dem Rektor und dem gesamten akademischen Körper zutiefst dankbar bin - gerade in Sachsen und in dieser Stadt zuteil wird, die, nachdem sie durch mächtige, friedliche Massenproteste dem Totalitarismus einen entscheidenden Schlag versetzt hat, zu einem dynamischen Protagonisten der neuen deutschen Wirklichkeit geworden ist.


Deutschland und Italien haben Grund dazu, stolz zu sein auf das starke Engagement für ein vereintes Europa, das unsere beiden Länder in den letzten fünfzig Jahren teilten. Wir können eine schon intensive und weitgehende Übereinstimmung weiter vertiefen.


Ich verneige mich vor der Entschlossenheit, mit der die deutschen Regierungen der Nachkriegszeit das Ziel der Wiedervereinigung verfolgt und dieses Ziel immer mit einem großen europäischen Projekt verknüpft haben.


Die von Adenauer gewollte Verankerung Deutschlands im Westen, Willy Brandts Ostpolitik, die Umwandlung der deutsch-französischen Aussöhnung zu einem Grundpfeiler des Aufbaus Europas, die Helmut Schmidt zu verdanken ist, die Fähigkeit Kohls, gleichzeitig die einheitliche Währung und die deutsche Wiedervereinigung voranzubringen, waren und sind geleitet von einer einzigartigen, weitsichtigen Vision und bestimmen diese mit.


Der Fall der Mauer hat eine neue Seite in der Geschichte Deutschlands und Europas aufgeschlagen. Unterstützt vom ganzen Westen hat die deutsche Einheit auch der Einheit unseres Kontinents neue Impulse verliehen. Die Tür zum Osten Europas aufgestoßen zu haben, ist auch ein großes Verdienst Ihrerseits.


Mit großer Genugtuung betrachte ich nicht nur die italienisch-deutsche Zusammenarbeit, für welche die hunderttausenden in Deutschland lebenden und arbeitenden Italiener einen wichtigen Beitrag geleistet haben, sondern auch die Rolle meines Landes im europäischen Einigungsprozeß. Kohärenz und gleichbleibende Hartnäckigkeit bei der Verfolgung der großen europäischen und atlantischen Ziele, Bejahung der Kultur der Stabilität in der Wirtschaftspolitik, überzeugte Verwirklichung der Verpflichtungen für die gemeinsame Verteidigung und für die internationale Rechtssystem haben die Präsenz Italiens in den entscheidenden Momenten des Schicksals von Europa gekennzeichnet.


Wir waren unter den ersten, die unseren deutschen Freunden gegenüber Worte der Unterstützung entgegenbrachten: Giuseppe Saragat, der als italienischer Staatspräsident Auschwitz besuchte, bemerkte dort, ?das haben die Nazisten und nicht das deutsche Volk getan." Und wie könnte man die bewegenden Worte unseres Staatspräsidenten Sandro Pertini im Konzentrationslager Flossenburg über den Mut vieler Deutscher im Widerstand gegen die Naziherrschaft vergessen?


Wir haben gemeinsam auch schwierige Momente überwunden. Ich erinnere an die gemeinsame Entschlossenheit und Solidarität bei der Stationierung der Mittelstreckenraketen, die ein bestimmendes Moment im siegreichen Widerstand des Westens gegen die kommunistische Herausforderung darstellte.


Gemeinsam sind wir dabei, in der Balkanregion Grundsätzliches zu leisten: angefangen von unserem Engagement gegen den Bürgerkrieg in Albanien bis hin zur gemeinsamen Aktion für die Konsolidierung des Friedens in Bosnien und seine Übertragung auf das Kosovo. Wir haben uns nicht unserer Verantwortung entzogen. Unsere Präsenz in diesen Gebieten stellt ein Engagement der Zivilisation für deren Demokratisierung und gegen monoethnische Entwicklungen dar.


Die italienisch - deutsche Freundschaft ist ein Grundpfeiler Europas. Uns vereint eine ununterbrochene zivilisatorische Beziehung, die in zahllosen Beispielen zum Ausdruck kommt: von der klassischen Philologie und dem philosophischen, historischen und juristischen Denken, über das Buchwesen und das Studium der Antike bis hin zur Musik und zu den bildenden Künsten. Die nationale Wiedergeburt Deutschlands und das italienische Risorgimento hatten eine gemeinsame Inspirationsquelle, waren zentrale Ereignisse für das Europa des neunzehnten Jahrhunderts.


Wir haben erfolgreich dafür gearbeitet, daß die zwei fundamentalen Komponenten unserer Kultur - die mitteleuropäische und die lateinische - die Triebkraft wiedergefunden haben, um gemeinsam im Fortschreiten der europäischen Zivilisation voranzukommen.


Es ist auch das Verdienst Italiens, wenn wir in der Europäischen Union eine Synthese zwischen Mitteleuropa und dem Mittelmeer-Raum erreicht haben. Unter anderem war es die Forderung nach einem Ausgleich zwischen Mittel-und Südeuropa, die Italien veranlaßt haben, den Beitritt zum Euro mit Hartnäckigkeit voranzutreiben.


Das karolingische Europa verkörperte erste, wenn auch beschränkte Wesenszüge Europas; heute sind wir viel stärker davon überzeugt, daß die nordische, die mitteleuropäische und die Mittelmeerdimension komplementäre Aspekte einer immer weniger teilbaren Realität darstellen.


Deshalb habe ich mich als Finanzminister dafür eingesetzt, daß das Bild des Castel del Monte auf dem Euro zu sehen ist, der ab Januar 2002 in Italien in Umlauf gebracht werden wird, zu Ehren Friedrichs II., deutscher und römischer Kaiser zugleich, der ein Ideal des Über-den-Nationen-Stehens verkörperte, das später von allzu langen Perioden unheilvoller Konfrontationen verdunkelt wurde. Vor wenigen Wochen stand ich zusammen mit Bundespräsident Rau in großer Andacht vor dem Grab des Kaisers im Dom von Palermo.


Die Besinnung auf die Ideen, die jenen historischen Gegebenheiten zu Grunde lagen, ist eine Anregung für weiter entwickelte Formen der Integration zwischen den Mitgliedsstaaten der Europäischen Union; eine Herausforderung, die seit vielen Jahrzehnten im Geiste Europas präsent ist.


Mit einem Schauer liest man heute Benedetto Croces Worte: ?Ebenso wie ein Neapolitaner des früheren Königreichs und ein Piemonteser des Reiches am Fuße der Alpen zu Italienern wurden und dabei ihr vorheriges Dasein nicht verleugneten, sondern es emporhoben und in jenes neue Dasein eingehen ließen, genauso werden sich Franzosen und Deutsche und Italiener und alle anderen zu Europäern erheben, und ihre Gedanken werden sich auf Europa richten und ihre Herzen werden dafür genauso schlagen wie früher für die kleineren Vaterländer."


Dies schrieb 1931 Benedetto Croce, der Leuchtturm, der vom Zentrum des Mittelmeeres aus ein Land erleuchtete, das durch die Diktatur in einen trostlosen Zustand geraten war, und der aus dem Denken der Großen der deutschen Philosophie und Kultur schöpfte. Das Buch, aus dem ich dieses Zitat entnommen habe, beginnt mit einer Widmung Croces an Thomas Mann, der in denselben Jahren warnte: "Wir wollen kein Europa, das seinen Namen nur in historischem Sinne weiter behält."


Sehr geehrter Herr Bundespräsident,


der Aufbau Europas ist jetzt in eine entscheidende Phase eingetreten, die mit Kohärenz, Einheit, Pragmatismus und Flexibilität in Angriff genommen wird; für das Jahr 2000 stehen grundsätzliche Schritte bevor.


Der Grat zwischen Erfolg und Mißerfolg ist schmal.


Wahrung der nationalen Identität und Überwindung der Souveränität sind nur scheinbar widersprüchliche, in Wirklichkeit aber komplementäre und für das weitere Vorankommen Europas beiderseits notwendige Aussagen.


In dem Appell, den ich vor einigen Monaten an das polnische Parlament richtete, habe ich gesagt, dass? die Geschichte uns die Aufgabe erteilt hat, die Einheit Europas herzustellen", und fügte hinzu, dass ?die Einzigartigkeit der europäischen Erfahrung, die vor allem anderen darin besteht, gelernt zu haben, in der Verschiedenheit zusammen zu leben, auch der Schlüssel für die Zukunft ist." Die Vereinigung Europas erfordert nicht die Ausradierung unserer geliebten Vaterländer; sie schützt im Gegenteil ihre Identität und Autonomie in einer immer stärker globalisierten Welt.


Eineinhalb Jahre nach der Einführung des Euro erfordert dieses so wichtige Ereignis die Beschleunigung der Integrationsbestrebungen. Der Euro kann nicht isoliert, als Waisenkind fortexistieren.


In der Geschichte der europäischen Integration gab es nicht nur immer lineare Fortschritte. Wir haben auch Pausen, Unsicherheiten, Beschleunigungsphasen erlebt. Es hat immer Länder gegeben, die auf dem Weg zur Vereinigung weiter als andere vorangeschritten sind.


In zahlreichen Ländern Europas, angefangen in Deutschland, haben sich in der letzten Zeit angesehene Stimmen dafür erhoben, die notwendige Definition der Ziele und Verantwortlichkeiten Europas gegenüber sich selbst und gegenüber den Nachbarvölkern nicht länger aufzuschieben. Alle berufen sie sich auf eine Schicksalsgemeinschaft, die aus der vorwärtsdrängenden und belebenden Kraft einer Idee erwächst.


Dies ist nicht die Zeit für Pausen, sondern für mutige und weitreichende Entscheidungen. Die Kraft einer Idee kann unaufhaltsam sein, sie kann Visionen in konkrete Ziele verwandeln. Robert Schuman sagte dereinst, daß Europa ?durch konkrete Errungenschaften entstehen wird, indem eine Solidarität durch Fakten geschaffen wird."


Der komplexe Terminkalender des europäischen Projekts - Reform der Institutionen, Erweiterung, Schaffung eines gemeinsamen Rechtsraumes, Außen - und Verteidigungspolitik, Lenkung der Wirtschaft - erfordert für ihre Umsetzung eine hohe Gesinnung und eine starke Antriebskraft. Vor allem aber dies: das Recht auf eine engere Integration zwischen Ländern, die in der Lage dazu sind und die das auch wollen, wobei auf jeden Fall auch die Möglichkeit, sich dem anzuschließen, für jedes beliebige andere Land vorzusehen ist.


Ich sehe außerdem mit großer Erwartung der Grundrechtscharta der Europäischen Union entgegen. Ohne das Bewusstsein und den Stolz, europäische Bürger zu sein, ohne daß die Charta als wesentlicher Bezugspunkt für die Regierungen akzeptiert wird, laufen unsere Bemühungen Gefahr, weniger erfolgreich zu sein. Ich fühle mich bestärkt durch das Wissen darüber, in einem Land, in einer Stadt zu sprechen, die ihre Identität, die in einem Zeitraum von etwas mehr als einem halben Jahrhundert zwei Totalitarismen überlebte, vollauf bewahrt haben, und von dem großen Wort von der Notwendigkeit, ?die Unsicherheit und die Angst zu besiegen", das Bundespräsident Rau vor kurzem geäußert hat: Die Ideale der Freiheit und der Menschenrechte sind unerläßlich, wenn es darum geht, die Charta in den Mittelpunkt des Bewußtseins der Europäer zu rücken.


Ich bin sicher, daß der Reformwille der Europäer den Punkt finden lassen wird, an welchem sich die unbedingte Notwendigkeit der Integration und der Mut zur Erweiterung treffen.


Die Überstaatlichkeit wird für Europa eine Ursache weiterer Fortschritte sein: Auf verschiedenen Gebieten ist die nationale Souveränität bereits überschritten worden. Das Funktionieren der vorhandenen europäischen Institutionen erfordert dringend die Überwindung lähmender formal-paritätischer Normen. Es ist eine lange Wegstrecke, bei deren Bewältigung wir auch die Unterstützung der öffentlichen Meinung in unseren Ländern brauchen. Um so weniger können wir uns vor den bedenkenswerten Aufrufen des Europa-Parlaments zu einer ehrgeizigen Reform der Verträge verschließen.


Die EU-Erweiterung ist nicht nur eine Verpflichtung, die aus der europäischen Geschichte selbst erwächst; sie signalisiert der internationalen Gemeinschaft auch, daß die Individualität und das Ansehen Europas vollendete Tatsachen zu werden im Begriff sind. Die Erweiterung ist die Fähigkeit, das friedliche Zusammenleben der europäischen Völker zu verwirklichen. Sie setzt eine Reform der Institutionen voraus, welche die Rolle und Effizienz der Kommission bei der integralen Lösung der in den Verträgen klar definierten Aufgaben verstärkt sowie die Grenzen der Überstaatlichkeit erweitert. Ohne daß dies die Identität der einzelnen Nationen auslöscht.


Die europäische Integration ist im Begriff, sich aus einer wirtschaftlichen und monetären zu einem echten Band demokratischer Solidarität auszuweiten. Dieser Prozess macht eine Europäische Verfassung erforderlich: sie ist notwendig, um zu demonstrieren, dass die letztendliche Quelle für die Legitimität der Institutionen der Europäischen Union bei den Bürgern liegt; sie ist notwendig, weil es keine europäische Identität geben kann ohne die volle Zustimmung zu Werten, die den Kampf gegen die Fremdenfeindlichkeit sowie die Achtung der Minderheiten einschließen; sie ist notwendig, um die Grundwerte der Demokratie, der Freiheit über die Grenzen der Europäischen Union hinaus, in den Umkreis des geophysikalischen Europa, ausstrahlen zu lassen.


Die zwei entscheidenden Kerngedanken der europäischen Verfassung können wir bereits jetzt definieren: der erste Teil davon wird sich den Inhalt der Charta der Grundrechte zu Eigen machen; der zweite Teil wird die Sphären der Kompetenzen und Verantwortlichkeiten nicht nur für die Organe der Union, sondern auch für die institutionellen Subjekte (von den Gemeinden über die Regionen bis zu den Staaten) definieren, die am europäischen Gemeinschaftsleben teilnehmen.


Europa ist bereits eine politische Größe, handlungsfähig nach innen und nach außen, in den Bereichen, in denen die Staaten nicht in der Lage sind, allein zu operieren. Ich möchte einige Bereiche aufführen, auf denen es von nun an entschlossen gilt, die Berufung Europas zu entwickeln und weitere Ziele zu verfolgen:



  • die Regierungsfähigkeit der EU, die für die Vervollständigung der gemeinsamen Währung erforderlich ist, muß durch die Stärkung der zentralen Lenkung der Wirtschaft konsolidiert werden: der Euro 11 kann sein Ansehen durch die Methode der gemeinsamen Analysen, das Aufzeigen geeigneter Lösungen, die Kontrolle ihrer autonomen, aber verbindlichen Anwendung seitens der einzelnen Regierungen steigern;

  • die verstärkten Kooperationen werden in den Mittelpunkt der institutionellen Konsolidierung gerückt, sowohl durch Ausnutzung und Erweiterung der durch den Vertrag von Amsterdam gebotenen Möglichkeiten als auch dadurch, dass wir die kühnsten Formen der Kooperation in der Außen-, gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik ersinnen;

  • eine kulturelle Identität, die nicht nur den Schutz unseres historischen und künstlerischen Erbes im Auge hat, sondern gleichzeitig eine faszinierende Herausforderung darstellt, um sie noch fruchtbarer zu machen und das Gefühl der Zusammengehörigkeit zu verstärken.


Wir haben das großartigste Unternehmen politischer Stabilisierung in Angriff genommen, das je in Europa versucht worden ist, weil es nicht mehr auf der Suche nach Gleichgewichten der Macht beruht, sondern auf der Gemeinsamkeit von Werten und Institutionen. Das ist der tiefe Sinn des Friedens in Europa.


Es ist nicht gesagt, ich wiederhole, daß die Etappen dieses Prozesses für alle gleich und gleichzeitig sein müssen. Es ist der willentliche und bewußte Impuls durch einen Kern von Staaten erforderlich, der die Fähigkeit besitzt, den schon in breitem Maße wahrgenommenen Zusammenhang zwischen nationalem Interesse und europäischer Integration in eine immer zwingender werdende Bindung zu verwandeln.


Wenn man uns nun fragt, welche die Staaten sind, die die Initiative zu Formen fortgeschrittenerer Integration ergreifen können, so ist die Antwort einfach: diejenigen, angefangen bei den Gründungsländern, die gewillt und bereit sind, daran teilzunehmen.


Das Engagement und die Stabilität Italiens stehen außerhalb jeder Diskussion: Stets haben wir es verstanden, mit Verantwortungsbewußtsein und mit Festigkeit zu allen entscheidenden Fragen Europas Stellung zu nehmen. Immer standen wir in der ersten Reihe beim Aufbau des europäischen Konsens. Wir haben einen hohen Preis gezahlt, wenn es sich als notwendig erwies. Wir halten weiterhin an den Verpflichtungen fest, die wir beim Beitritt zum Euro übernommen haben: Das Verhältnis zwischen Neuverschuldung und BSP liegt bei 1,5 Prozent und wird weiter bis zum Ausgleich hin sinken. Die Kultur der Währungsstabilität ist eine wesentliche Komponente der Mentalität der Italiener geworden.


Dies wird auch in Zukunft unsere Haltung bestimmen, mit der Unterstützung des italienischen Parlaments, mit einem Konsens des Volkes, der seinesgleichen in Europa sucht.


Zwei Länder wie Deutschland und Italien müssen weiter innovatorische und verantwortungsvolle Beiträge zum Aufbau des künftigen Europa leisten. Anläßlich unseres jüngsten Zusammentreffens auf Sizilien sind wir mit Bundespräsident Rau übereingekommen, im Rahmen unserer Aufgaben zur Reifung der Erneuerungsprozesse vor allem durch die Förderung des Projekts einer Verfassungsarchitektur für Europa beizutragen.


Das Problem des völkerrechtlichen Subjektcharakters Europas ist schon auf die Tagesordnung gesetzt worden. Jetzt geht es darum, ihm eine vollkommene Form zu verleihen.


Wir brauchen uns dabei nicht an starre Schemata gebunden zu fühlen: die Begriffe Bundesstaat oder Staatenbund  verkörpern unterschiedliche Hypothesen, die in neuen, kombinierten Formen allesamt brauchbar sind, sowohl für eine bestrimmte institutionelle Konfiguration Europas als auch dafür, die Kompetenzen der verschiedenen Subjekte zu klären, die im europäischen Rahmen wirken.


Über die gemeinsame Währung sprachen wir schon viele Jahre, bevor wir sie Euro nannten, lange bevor wir eine föderale Institution wie die Europäische Zentralbank schufen. Entscheidend ist, das Ziel eines einigen, fest verbundenen Europas klar vor Augen zu haben und in der Zwischenzeit den Blick auf den Erfolg der nächstliegenden wichtigen Vereinbarungen zu richten, mit dem Elan und der Entschiedenheit, die uns durch das Bewußtsein und den Stolz der gemeinsamen europäischen Identität und das aus dem bisher Erreichten herrührende Selbstvertrauen zuwachsen.


Meine Generation hat in ihrer Jugend nicht nur den Krieg kennengelernt, sondern, was noch schlimmer ist, die Hinnahme des bewaffneten Konflikts als eine immer wiederkehrende, unvermeidliche Erscheinung im Leben Europas. Wenn die heutige Jugend beinahe distanziert und überrascht Erinnerungen aus einer Welt anhört, die unendlich fern in der Zeit scheint, dann gebührt das Verdienst vor allem der Europäischen Union, der Tatsache, dass sie es verstanden hat, Werte, die das Bewußtsein der europäischen Völker konstituieren, in klar und konkret definierte Ziele und institutionelle Strukturen zu übersetzen.


Den jungen Menschen des neuen Europa widme ich die Anerkennung, mit der mich diese glanzvolle Universität heute zu ehren gedenkt.


An sie wende ich mich mit einem eindringlichen Aufruf.


An Euch ist es, dem Prozess der europäischen Integration neue Kraft, jugendlichen Schwung zu verleihen. Es ist an Euch, alles zu tun, damit sich der Frieden in Europa verbreitet und verfestigt, damit er nicht mehr nur das Auslöschen der bewaffneten Konflikte bedeutet, sondern die volle Behauptung der Werte, die Europa in seiner tausendjährigen Geschichte zum Ausdruck gebracht hat. An Euch ist es, ein Werk zu vollenden, das die Geschichte der Menschheit prägen wird.


Es ist Zeit, Ihr jungen Menschen ganz Europas, emporzuschauen; es ist die Zeit eines großmütigen Engagements; es ist Eure Zeit.


[Bisher: Die Jugend, als dynamischer Teil der Zivilgesellschaft, hat folglich die Aufgabe, das Vertrauen in die Europäische Union zu festigen und mit ihrem Sinn für zivile und politische Verantwortung, mit ihren Gefühlen der Brüderlichkeit, den Einsatz der Parlamente und Regierungen für Europa vollauf zu unterstützen. Wenn die jungen Menschen in Europa gemeinsam die Kraft haben, nach vorn zu schauen, ehrgeizige Pläne und Ziele zu hegen, wird Europa einen entscheidenden Schritt voran tun, weil es tief in Ihrem Bewusstsein verankert sein wird.]

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