Il Portale storico della Presidenza della Repubblica

Pubblicato il 2 giugno 2018, il Portale storico della Presidenza della Repubblica rende progressivamente disponibile il patrimonio conservato dall'Archivio storico.
Archivi, documenti, fotografie, dati, percorsi tematici e risorse digitali trasmettono la memoria dei Capi dello Stato dell'Italia repubblicana; testimoniano in modo straordinariamente capillare le attività, gli interventi e i discorsi dei Presidenti della Repubblica nello svolgimento delle funzioni che la Costituzione assegna loro; testimoniano le attività dell'Amministrazione e dei suoi protagonisti, che operano a supporto della figura presidenziale; rappresentano il Paese che ne costituisce lo sfondo; raccontano le vicende del Palazzo del Quirinale, ieri palazzo dei papi e dei re, oggi sede della massima carica dello Stato repubblicano.

I numeri del Portale: 70.780 eventi, tra udienze, impegni pubblici e privati dei Presidenti; 1.729 visite in Italia e 570 viaggi all'estero; 16.269 pagine di diario digitalizzate; 440.016 immagini; 25.111 immagini che documentano la storia d'Italia dalla Monarchia alla Repubblica; 10.445 audiovisivi; 16.918 complessi archivistici; 6.865 discorsi e interventi; 5.325 atti firmati; 55.759 Provvedimenti di grazia; 542 comunicati della Presidenza del Consiglio dei Ministri dal 1945 al 1950;11.835 comunicati delle presidenze Ciampi e Napolitano; 168.952 comunicati di cui 28.360 indicizzati dalle presidenze Gronchi a Scalfaro; oltre 500 volumi in Materiali e pubblicazioni per un totale di 50.000 pagine in formato digitale; 75 soggetti produttori e 516 strutture organizzative; 131 biografie di consiglieri e consulenti; 1.665.718 triple caricate sull'Endpoint (aggiornamento del 28 giugno 2024)

 

venerdì
01 marzo 2013

Lecture "Willy Brandt" des Präsidenten der italienieschen Republik Giorgio Napolitano "Auf dem Weg zu einer politischen Union: Die Herausforderung einer europäischen Führung"

Mein herzlicher Dank gilt Präsident Olbertz für seine liebenswürdigen Worte und den freundlichen Empfang in dieser historischen Universität, die schon lange ein zentraler Bezugspunkt der Europadebatte ist und in der ich bereits großzügig Aufnahme und Gehör fand.
Präsident Thierse bin ich dankbar für die mir erwiesene Ehre, für die Stiftung mit dem Namen des unvergessenen Kanzlers der Bundesrepublik Deutschland und Friedensnobelpreisträgers diese Lecture "Willy Brandt" zu halten. Ja, lieber Freund Thierse, mich verband Bewunderung und wachsende ideelle wie politische Affinität mit Willy Brandt. Mit ihm als Präsident der Sozialistischen Internationale hatte ich freimütige und fruchtbare persönliche Gespräche wie auch formale Treffen beim Kongress von Stockholm und verschiedenen Sitzungen des Rates der Sozialistischen Internationale, zu denen ich als Beobachter für die italienische Kommunistische Partei eingeladen wurde.
In Erinnerung geblieben ist mir vor allem ein einzigartiges Treffen mit ihm aufgrund seiner außergewöhnlichen Koinzidenz mit dem historischen Ereignis des Falls der "Berliner Mauer". Monate zuvor hatten wir vereinbart, im persönlichen Gespräch die Frage einer Verstärkung der Beziehungen zwischen der KPI und der Sozialistischen Internationale mit Blick auf einen echten Beitritt eingehend zu erörtern. Der Termin wurde auf den 9. November 1989, 14.00 Uhr, in Bonn, in Brandts Büro im Bundestag festgelegt. Wir diskutierten ganze zwei Stunden lang über alles mit voller beiderseitiger Offenheit und Verständnis und ahnten nicht, dass die Geschichte schon unmittelbar danach - ich war gerade von Bonn nach Italien abgereist - eine plötzliche, aufregende Wende hin zur Freiheit und Einheit für ganz Deutschland und damit für Europa nehmen würde.
Und schließlich, wenn ich hier mit großer Freude Egon Bahr - den sehr engen und geschätzten Mitarbeiter bei der politischen Arbeit Brandts, der Regierungstätigkeit und seinem Engagement für Europa - begrüße, sehe und erlebe ich wieder unsere Ergriffenheit, als wir uns beim letzten Geleit für Willy in Berlin trafen, an dem ich als Präsident der Abgeordnetenkammer und Vertreter Italiens teilnahm.
Danke Ihnen allen, auch für die Geduld, mit der Sie die Rede, die ich nun beginne, verfolgen wollen.


* * *


Die 2008 in den Vereinigten Staaten ausgebrochene Finanzkrise, ihre rasche Verbreitung vor allem in Europa und ihre weitreichenden Folgen, durch die sie zu einem globalen Phänomen wurde, haben das europäische Aufbauwerk tief erschüttert. Sie haben seinen Verlauf verändert, es in unvorhergesehene Bahnen gedrängt. Man darf sich daher nicht wundern, dass der Diskurs über die politische Union als Ziel, auf das der 1950 begonnene Integrationsprozess unweigerlich zustrebt, wieder aufgebrochen ist. Dieser Prozess hatte seit seiner Entstehung eine politische Dimension. Unsere Sorgen und Diskussionen können sich wie in den letzten Jahren der Fall auf die Währung, das Finanzwesen, die Wirtschaft konzentrieren, aber das Projekt, für das wir uns engagiert haben und das wir voranbringen wollen, bleibt doch immer ein politisches Projekt. Wenn Politik bedeutet, dass eine Vielzahl von Männern und Frauen gemeinschaftlich nach Regeln der Freiheit und Solidarität handeln, wenn Politik bedeutet, Institutionen aufzubauen und sie zu lenken, wenn Politik bedeutet, Beziehungen zwischen Völkern und Staaten zu pflegen, wie kann man dann nicht sehen, dass das europäische Aufbauwerk - jenseits aller Formfragen - ein politischer Prozess war und bleibt, der sich auf politische Ideale stützt und Führung, politische Führung verlangt? Europa als politische Einheit stand also immer und bleibt es mehr denn je auf der Tagesordnung unseres Einsatzes als verantwortliche Kräfte für das europäische Projekt.
Also: Politische Einheit. Gestatten Sie mir, diesen Weg durch die Schriften des großen Protagonisten der Geschichte des zwanzigsten Jahrhunderts, Jean Monnet, nachzuverfolgen. Sehen Sie, angesichts so vieler Fehlinformationen und Entfremdungen im Hinblick auf das Bekenntnis zu Europa fragen wir uns, wie sich ein pädagogisches Vakuum ausgleichen lässt, das gravierend war und dessen Folgen man heute im Verhältnis zu den jüngeren Generationen zu tragen hat. Dieses Vakuum lässt sich nur durch die Vermittlung des historischen Wissens füllen, das man glücklicherweise aus leidenschaftlichen Zeugnissen und meisterhaften Synthesen wie den Erinnerungen eines Europäers von Jean Monnet schöpfen kann. Warum wird das gestern wie heute so wenig genutzt?
Gerade im Kapitel über «Die Politische Einheit» jenes großen Buches werden Phasen und Ereignisse des europäischen Aufbauwerks genau rekonstruiert. Als er es 1976 schrieb, zögerte Monnet nicht, eine ungeschönte Bilanz zu ziehen: «die Geschichte der Versuche, zu einer politischen Einheit Europas zu gelangen wurde zu einer langen Reihe von Enttäuschungen». Der erste Versuch ging mit dem Projekt zur Gründung einer Europäischen Verteidigungsgemeinschaft einher, die in gewisser Weise die Aussöhnung zwischen Frankreich und Deutschland krönen und den Garantierahmen für die schon beschlossene Wiederbewaffnung Deutschlands bilden sollte. Die Schaffung der Verteidigungsgemeinschaft war - auf Anregung und unter Mitwirkung Italiens, und für dieses von Alcide De Gasperi und Altiero Spinelli - mit der allgemeinen Wahl einer gemeinsamen Versammlung und dem Aufbau einer föderalen Organisation verbunden, die auf dem Prinzip der Trennung der Gewalten beruhte und mit einem Zweikammernparlament ausgestattet sein sollte. Wie man weiß, war alles hinfällig, es scheiterte und man konzentrierte sich schließlich auf die Konsolidierung der Gemeinschaft für Kohle und Stahl und ab 1957 auf den Start der ambitionierteren Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft.


Aber wenn sich herausstellte, dass der Versuch der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft Anfang der 50er Jahre verfrüht und schlecht gemacht war, so schien sich doch zwischen 1960 und 1962 im Rahmen der möglichen Schaffung einer politischen Entität auf der Ebene der Regierungschefs der sechs Länder der Gemeinschaft eine neue Gelegenheit zu ergeben. Fatal waren jedoch die französische Ambiguität hinsichtlich der Rolle, die den supranationalen Institutionen zuerkannt werden sollte, die Starrheit der gaullistischen Vision eines Europa der Staaten. Monnet betrachtete daher die «Kooperation als notwendige Etappe, und die Möglichkeit einer europäischen Konföderation» als einzig realistisch vertretbaren Ausweg.
Dennoch inspirierte und verfasste er die Schuman-Erklärung, die das Ziel der «europäischen Föderation» erfasste. Und er hatte immer mit Sympathie und Respekt auf jene geblickt, die von Anfang an ohne zu zögern den Weg der politischen Integration beschreiten wollten: darunter der Italiener Alcide De Gasperi, den Monnet als «Mann von großer geistiger Würde» bezeichnete, den man «in enger Verbindung mit Adenauer und Schuman» arbeiten und entscheiden sah.
Aber das Scheitern der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft hatte Monnet in seinem realistischen Ansatz bestärkt, sodass er noch 1958 die Überzeugung bekräftigte, es sei «nicht möglich, Etappen» auf dem Weg hin zur politischen Einheit «zu überspringen», da dieser vom tatsächlichen Voranschreiten der wirtschaftlichen Einheit abhing. Und noch als er fast zwanzig Jahre später seine Erinnerungen schrieb, insistierte er, man müsse «zum Ersten die wirtschaftliche Union vollenden, um dann die Formen einer vollständigeren und tieferen Einheit zu suchen - ob föderalistisch oder konföderalistisch, wüsste ich nicht zu sagen».
Man kann sich nun fragen, ob jene Worte Monnets heute - nachdem im Laufe von mehr als dreißig Jahren viel Wasser den Bach hinunter geflossen ist - nicht noch besonders aktuell sind. Sind wir nicht vielleicht genau damit beschäftigt, vor allem die Wirtschafts- und Währungsunion zu vollenden, deren Unvollständigkeit und Widersprüchlichkeit durch die Staatsverschuldungs- und Wachstums-Krise in Europa in den letzten Jahren so dramatisch ans Licht gekommen ist? Und da ja Monnet nie glaubte, dass die politische Einheit sich mechanisch aus dem langsamen Voranschreiten der «tatsächlichen Verbundenheit» ergeben würde, sondern selbst der Meinung war, dass sie aus «einem besonderen schöpferischen Akt hervorgehen musste und eine neue Delegation der Souveränität verlangte», ist heute nicht vielleicht der Moment gekommen, diesen vorzubereiten, auch wenn wir unsere Anstrengungen auf die Vollendung der Wirtschafts- und Währungsunion konzentrieren?


Bevor ich auf diese brennend aktuellen Fragen zurückkomme, die von vitalem Interesse für die Zukunft sind, erscheint es mir von Nutzen, zusammenfassend an die Neuerungen zu erinnern, die es seit der letzten "Erfindung" Jean Monnets in der Ordnung der europäischen Institutionen gegeben hat. Seine Idee war es, 1973-74 ein «höchstes Organ zur Führung Europas» in einer wie er es nannte «schwierigen Übergangsphase von der nationalen zur gemeinschaftlichen Souveränität» zu schaffen.
Es ging darum, einerseits den nicht zielführenden und wenig produktiven Charakter der Gipfel der Staats- und Regierungschefs der Mitgliedstaaten der Gemeinschaft zu überwinden (mit dem Beitritt Großbritanniens, Irlands und Dänemarks waren es 9 geworden) - Gipfel, die für einfache allgemeine Diskussionen gedacht waren. Andererseits galt es, die engen sektoralen Grenzen der verschiedenen Formationen des Ministerrats zu überwinden, in denen jeder als Verteidiger der nationalen Interessen agierte. Die 9 Staats- und Regierungschefs sollten sich zu einer «Provisorischen europäischen Regierung» konstituieren. Diese sollte das Projekt der Europäischen Einheit definieren und unter den Institutionen der Union «eine europäische Regierung und eine allgemein gewählte Parlamentarische Versammlung» errichten.
Notwendig war im Wesentlichen «der Ansatz zu einer europäischen Oberhoheit», die bis dahin fehlte. Dem Ort und Moment der Diskussion sollten der Ort und der Moment der Entscheidung entsprechen. «Die bestehenden europäischen Institutionen» - so die wiederum realistische Überlegung Monnets - «haben heute nicht genug Kraft», um alleine ausreichende Mittel in den Dienst der gemeinsamen Interessen der Länder der Gemeinschaft zu stellen. «Aber die Regierungschefs könnten es, indem sie sich auf sie stützen». Die Idee setzte sich durch, auch wenn die Formulierungen Monnets einige Abschwächungen erfuhren. (keine Annahme fand zum Beispiel der Name «Provisorische Europäische Regierung»), und er erhielt die Zustimmung der drei wichtigsten Regierungschefs - des französischen, deutschen und englischen, zuerst Pompidou, Brandt und Heath, dann ab 1974 Giscard d'Estaing, Schmidt und Wilson. Am 10. Dezember 1974 entstand der Europäische Rat.
Die Fixpunkte, die zweifellos die Bedeutung jener Innovation ausmachten, waren die Verpflichtung zur Anerkennung und Aufwertung der Rolle der Kommission und zur Vorbereitung der allgemeinen Wahl des Europäischen Parlaments, die Synergie zwischen dem neuen Organ und den gemeinsamen Institutionen supranationaler Prägung und die Bestätigung der Gemeinschaftsmethode. Wie sehr sich dies dann später vor allem in der Ausprägung und im Gewicht des Europäischen Rates - der Fix- und Leitstern des Entscheidungsprozesses der Union wurde - gewandelt hat, ist eine andere Frage, auf die ich natürlich später noch eingehen werde.
Aber sicherlich wurde die von den Bürgern aller Mitgliedsstaaten direkt gewählte parlamentarische Versammlung ab 1979 zu einem grundlegenden Bezugspunkt aus demokratischer Sicht und zu einer Garantie gegen intergouvernementale Fehlentwicklungen des europäischen Aufbauwerks. Die Europäische Kommission wiederum erlebte für mehr als ein Jahrzehnt von den achtziger bis zu den neunziger Jahren einen sichtlichen Zuwachs an Ansehen und Initiativkraft unter der Führung von Jacques Delors.
Schließlich kam es mit dem Vertrag von Maastricht, der Geburt der einheitlichen Währung und der Schaffung der Europäischen Zentralbank zu einem echten Vorwärtssprung auf dem Weg der Integration. Es erfolgte eine «Vertiefung» des Europäischen Prozesses, der der «Erweiterung» und dem Übergang der Gemeinschaft mit fünfzehn Mitgliedsstaaten zu einer Union der Fünfundzwanzig und recht bald der Siebenundzwanzig vorausging und sie begleitete. Der Schlüssel des Europäischen Projekts nach dem Konzept von Monnet und der anderen Pioniere - «Delegierung der Souveränität und gemeinsame Ausübung dieser delegierten Souveränität» - war geeignet, die Türen zu einem entscheidenden Bereich zu öffnen, der von den Nationalstaaten als ihr historisches Vorrecht eifersüchtig gehütet worden war: der Bereich der Währungshoheit. Erst später - nach 2008 - sollten wir auf unsere Kosten erfahren, dass auch andere angrenzende Bereiche für die Ausübung einer geteilten Souveränität geöffnet werden sollten.


Die Innovationen und Entwicklungen der siebziger und achtziger Jahre wurden möglich dank des Einklangs zwischen bedeutenden politischen Persönlichkeiten. Ich habe die von Monnet zitierten Namen genannt: darunter Willy Brandt. Und ich erinnere gerne an die Worte, die der große französische Schöpfer des geeinten Europas mit seiner außerordentlichen Menschenkenntnis und Überzeugungskraft, für ihn fand: «Brandt ist einer der hochherzigsten Staatsmänner, die ich kenne, einer jener seltenen Menschen, die einem etwas geben können: Er hat dies bewiesen, und sein Mut fand seine Belohnung in der tiefen Wertschätzung, die ihm seine Zeitgenossen entgegenbringen. Seine humane - zu humane - Veranlagung macht ihm das politische Handeln schwieriger als anderen. Ich fand ihn den Ideen der Veränderung gegenüber stets aufgeschlossen, und ich zweifelte keinen Augenblick daran, dass er sich ein Projekt zu eigen machen würde, das zu einer neuen Dynamik führen könnte». Und tatsächlich gab Brandt dem Projekt der Schaffung des Europäischen Rates seine volle Zustimmung und betrachtete es als «einen wesentlichen Schritt auf dem Weg» - gerade - «zur politischen Einheit».
Ich wollte die Person Willy Brandts, der diese Lecture gewidmet ist, mit den bedeutsamen und eloquenten Worten desjenigen würdigen, der ihn als Protagonisten des Europäischen Vorhabens an seiner Seite hatte. Aber gleichzeitig wollte ich so unterstreichen, wie sehr die Führer der Staaten und der Gemeinschaft in den fruchtbaren Jahrzehnten des Integrationsprozesses durch ein gemeinsames Gefühl und eine gemeinsame Vision für Europa verbunden waren. Und mit Blick auf die Zeit bis zum Vertrag von Maastricht kann ich nicht umhin, an François Mitterand und Helmut Kohl zu erinnern, ebenso an die Italiener Craxi und Andreotti. Brandt war auch als Europaparlamentarier einer der konsequentesten Verfechter einer Perspektive der politischen Einheit. Dabei unterstützte er unter anderem das Engagement von Altiero Spinelli und leistete einen besonderen Beitrag zur umfassenderen Vision von der Rolle Europas beim Aufbau einer einträchtigeren und gerechteren Welt des Friedens.


Kurzum, wir haben in manchen Phasen das Auftauchen und die Herausbildung dessen erlebt, was wir als Europäische Führung bezeichnen können, so wie wir im ersten Teil des neuen Jahrtausends auch den Zerfall dieses Prozesses erfahren haben, die Verarmung der Vorstellung von Europa gerade als dieses sich einte und dazu aufgerufen war, auf globaler Ebene eine wichtigere Rolle zu übernehmen. Aus dieser Verarmung ergab sich größtenteils die wachsende Ernüchterung der neuen Generationen gegenüber der Europaidee und den Institutionen, in denen diese Idee nach und nach Gestalt annahm.
Vermeiden wir banale Missverständnisse. Es geht nicht darum, - ohne Berechtigung hierzu und in dem Bewusstsein, dass es keinen Sinn hätte - die Eignung und Qualität derer zu bewerten, die in jüngster Zeit dazu aufgerufen sind, die höchsten Ämter an der Spitze der nationalen Regierungen und in den Europäischen Institutionen zu übernehmen, zumal wenn dies dem demokratisch geäußerten Volkswillen entspricht. Die Frage, die wir uns stellen müssen, betrifft das Gefüge der Beziehungen zwischen ihnen, der Motive und Modalitäten, nach denen sie im Rahmen Europas zusammen sind und zusammen handeln. Wir sehr hat sich dieses einheitliche Gefüge abgenutzt, wie stark haben aufs Nationale beschränkte Motive die Oberhand gewonnen, wie sehr hat man den Sinn für den weiteren Horizont der Verantwortlichkeiten Europas und die vor ihm stehenden Herausforderungen verloren?
Das bedeutet: Die Reflexion, die Korrekturen und gewissermaßen ein Neuanfang müssen die Inhalte und die Ausrichtung der europäischen Politik, des europäischen Handelns erfassen, ebenso ungelöste institutionelle Fragen und Perspektiven, die nun für den Weg und die Zukunft der Union festgelegt werden müssen. Diese Reflexion soll einen erneuerten gemeinsamen politischen Willen formen: Das ist es, was wir so dringend brauchen.
Eine kollegiale Führung mit einem sehr viel stärkeren gemeinsamen politischen Willen und damit der Befugnis, wirklich im Namen Europas zu sprechen und zu handeln, wird von anderen wichtigen Akteuren auf internationaler Ebene eingefordert. Vor allem, ich muss es sagen, von den Führungspersönlichkeiten und Meinungsführern Amerikas mit dem feinsten Gespür, angefangen von Präsident Obama und der von ihm geführten Administration. Wir sind weit hinaus über die nicht nur ironische Frage nach der Telefonnummer, die man anrufen kann, um mit Europa zu sprechen. Was man von uns Europäern erwartet, ist die Kraft zu einer gemeinsamen politischen Linie und Handlungsfähigkeit, die Kraft einer glaubwürdigen Führung, die mit effizienten Institutionen auf der Basis eines höheren Grades an Konsens und Beteiligung der Bürger agiert.
Es besteht aber kein Zweifel daran, dass in den letzten beiden Jahren zwischen den Staats- und Regierungschefs innovative und mutige Entscheidungen erörtert und getroffen wurden, um die Errungenschaft der einheitlichen Währung besser abzusichern und sie durch die lange nicht vorhandenen, unverzichtbaren Elemente der effektiven finanzpolitischen Integration und Fiskalkapazität, der integrierten Steuerung der Haushalts- und Wirtschaftspolitik sowie einer Bankenunion zu vervollständigen. Bis auf gebotene Änderungen an den fortbestehenden Schwachstellen einiger dieser Elemente haben wir uns in die richtige Richtung bewegt. Allerdings sind dabei Spannungen und erhebliche Widersprüche aufgetreten. Es bleibt die Frage, wie viele Zustimmungen aus Verpflichtung - im Entscheidungsbereich des Europäischen Rates - und wie viel Ambiguität und eventuell unausgesprochene Bedenken es dabei gab; wie viel Unsicherheit hinsichtlich der anschließend, besonders auf institutioneller Ebene anzustrebenden Auswege zur Schließung der Lücken und zur Beseitigung der Ungleichgewichte im Entscheidungsfindungsprozess. Letztlich sind die Grenzen der Existenz eines gemeinsamen und kohärenten politischen Willens offensichtlich geblieben.


Ich bin überzeugt, dass heute in den größeren Mitgliedstaaten der Union und in ihrem weiter fortgeschrittenen Kern, also der Eurozone, unter allen institutionellen Verantwortungsträgern ernsthaft Einigkeit über die Grundvoraussetzungen einer Wiederbelebung und der daraus resultierenden Entwicklung des Integrationsprozesses besteht. Ich spreche insbesondere von der Voraussetzung einer absoluten Überzeugung, dass die Entscheidung für Europa die Rettung für unsere Länder bedeutet hat: «Das entschlossene Ja der Westdeutschen zu Europa ist ein [weiteres] kostbares Gut der deutschen Nachkriegsgeschichte», sagte Bundespräsident Gauck in seiner Rede zur Vereidigung als Staatsoberhaupt und brachte dadurch seine Dankbarkeit für das Werk Konrad Adenauers zum Ausdruck.
Ich möchte anmerken, dass die Entscheidung für das gemeinschaftliche Europa das Ansehen der Gründerväter in ihren jeweiligen Ländern gesteigert hat. Danach kam es leider vor, dass in den für unseren Kontinent schwierigeren und kritischeren Zeiten nationale Führungspersönlichkeiten auftraten, die es für vorteilhafter hielten, nicht allzu sehr für die europäische Sache einzutreten, sondern im Gegenteil die europäischen Institutionen zum Sündenbock für ihren fehlenden Mut zu machen, indem sie die Verantwortung für alle unpopulären Entscheidungen auf diese abwälzten. Es ist notwendig, dass alle führenden Politiker auf nationaler Ebene den Stolz auf die Entscheidung für Europa wiederfinden, und zwar nicht nur als eine weitsichtige Antwort auf die Katastrophe des Krieges, die Leiden und Gefahren der Nachkriegszeit sondern als einzig richtige Reaktion auf die neuen, so verschiedenartigen Herausforderungen unserer Zeit.
Und wenn - ich zitiere erneut Bundespräsident Gauck - «gerade in Krisenzeiten die Neigung besonders ausgeprägt ist, sich auf die Ebene des Nationalstaats zu flüchten», dann «muss es gerade in der Krise heißen: Wir wollen mehr Europa wagen».


Das ausdrücklich und klar erneuerte Bekenntnis zu Europa seitens der höchsten Institutionen der Bundesrepublik ist absolut entscheidend für alles, was dieses Land von Beginn an im Aufbau des geeinten Europas verkörpert hat. Und wir müssen jegliche Bekräftigung dessen umso ernster nehmen, je mehr wir sie objektiv und ehrlich begründet sehen. Dies gilt insbesondere für die Bekräftigungen und Argumentationen von Bundeskanzlerin Merkel. Diese verdienen jenseits aller politischen Polemik, die sich eventuell von außerhalb Deutschlands her gegen sie richtet, den höchsten Respekt. Und sie sind von größtem Interesse, auch weil sie klar das gemeinsame Empfinden aller grundlegenden politischen und sozialen Kräfte Deutschlands widerspiegeln.
Noch vor kurzem hat die Bundeskanzlerin vor dem Weltwirtschaftsforum erneut die harten Zahlen und Fakten wiederholt: der drastische Rückgang des Gewichts der Bevölkerung und des Bruttoinlandsproduktes Europas verglichen mit dem der gesamten Welt. Sie fügte hinzu, dass Deutschland, also die größte Volkswirtschaft Europas, nur gut ein Prozent der Weltbevölkerung ausmacht. Daraus zog sie die unwiderlegbare Schlussfolgerung - die ich auch schon off-the-record von ihr gehört hatte -, dass wir nur, wenn wir als Europäer zusammenarbeiten, unsere gemeinsamen Interessen zum Ausdruck bringen und unsere Rolle in der Welt, wie sie heute ist und wie sie sich künftig noch mehr entwickeln wird, geltend machen können. Ich füge hinzu: nur wenn wir gut und gemeinsam arbeiten, indem wir unsere Schwachstellen und Probleme in all ihrer Komplexität angehen und unser gesamtes Potential nutzen und zur Geltung bringen.
Wir sind uns einig, und ich sehe nicht, wie man es nicht sein könnte, wenn man über die globale Situation nachdenkt, in der wir uns bewegen müssen, ob es uns nun gefällt oder nicht. Kein einzelner Mitgliedstaat der Union, kein einzelnes europäisches Land, nicht einmal das stärkste und dynamischste kann allein aus eigener Kraft den Herausforderungen von heute und morgen begegnen und in der Welt zählen: nicht einmal - die Freunde in Großbritannien mögen mir dies zu sagen erlauben - indem sie sich auf die Vorteile einer Vergangenheit als große Mehrkontinentalmacht verlassen.


Dennoch muss man aus ernsthaften und begründeten Bekräftigungen wie denjenigen, die ich erwähnt habe und die ich zu schätzen weiß, auch wirklich alle Konsequenzen zu ziehen wissen. Zwar stimmt es, dass wir als Europäer abgestimmt und solidarisch handeln müssen, weil wir das Gefühl haben, «alle im selben Boot zu sitzen»; und sicherlich trifft es ebenfalls zu, dass auch die robusteste und wettbewerbsfähigste europäische Volkswirtschaft, nämlich die deutsche, den Auswirkungen der schweren Rezessionswelle in wichtigen Ländern des Kontinents wie Italien ausgesetzt ist. Jedoch wäre es dennoch berechtigt - und das sage ich, ohne die damit verbundenen Probleme vereinfachen zu wollen - von Deutschland einen expansiven Impuls als Beitrag zu einer realen - und nicht nur angekündigten - Steigerung des Wachstums und der Beschäftigung in Europa zu erwarten.
Im Übrigen - sagen wir es ganz offen - gibt es einen zu großen Abstand zwischen den hinsichtlich der Erfordernisse und derzeitigen Aufgaben Europas geäußerten Überzeugungen und gewissen Verhaltensweisen, die Kleinlichkeit und noch schwer auszurottende nationale Egoismen widerspiegeln. Als ich an die jüngsten Verhandlungen - im Europäischen Rat - über eine Einigung zu den finanziellen Perspektiven oder dem Haushalt der Union dachte, kam mir wieder folgende Passage in den Sinn, die ebenfalls aus den Erinnerungen von Jean Monnet stammt und die ich noch einmal nachlesen wollte: «Die Suche nach dem gemeinsamen Interesse schließt nicht aus, dass jeder der Position des Anderen Rechnung trägt, aber sie darf sich nicht auf die Pfade des Feilschens begeben. Wir halten uns an unsere Methode, die darin besteht, zuerst zu bestimmen, was für die Gesamtheit der in der Gemeinschaft vereinigten Länder gut ist, und dann zu ermessen, wie viel Anstrengung dieser oder jener im einzelnen aufzubringen hat, ohne - wie in der Vergangenheit - vergeblichen punktuellen Ausgleich zu suchen».
Der Moment ist gekommen, sich von diesen anachronistischen Praktiken zu befreien, bei denen die Grenzen und Mängel der Kompromisse zwischen den Regierungen wieder übernommen werden. Es ist Zeit, den Sinn des gemeinsamen europäischen Interesses wieder aufzugreifen und zu pflegen, mit dem sich die nationalen Interessen harmonisieren lassen und dem sie nicht widersprechen, wenn sie richtig ohne abwegige Ansprüche und Verzerrungen verstanden werden.


Das erste konkrete Anwendungsgebiet für diese höhere gemeinsame Vision unserer Verantwortung und der zu treffenden Entscheidungen ist die Gesamtheit der Handlungen, die auf der Grundlage des Dokuments vom vergangenen Dezember «Auf dem Weg zu einer echten Wirtschafts- und Währungsunion» vollzogen werden müssen. Dieses trägt die Unterschriften von Präsident Van Rompuy wie auch der Präsidenten der anderen drei Institutionen: Kommission, Eurogruppe und EZB. Es besteht kein Zweifel daran, dass in diesem natürlichen Rahmen alle Schritte eingebunden werden müssen, die angesichts der Krise in diesen Jahren bereits nach und nach zurückgelegt wurden. Und es stimmt auch, dass es für den Wiederaufbau eines Vertrauensklimas im europäischen Projekt entscheidend ist, den Bürgern, Familien und Unternehmen die quälende Sorge der finanziellen Instabilität zu nehmen, mit der viele unserer Länder zu kämpfen haben. Es gilt, die erneuerte Fähigkeit der Institutionen und gemeinschaftlichen Initiativen zu zeigen, Wachstum, Wohlstand und Gerechtigkeit zu schaffen.
In dieser Hinsicht sind die Aussichten jetzt zu Beginn des Jahres 2013 noch nicht hoffnungsvoll. Die Entwicklung anzukurbeln und sie auf ein befriedigendes Niveau zu bringen, scheint viel schwieriger zu sein, als die dennoch lobenswerten Absichtserklärungen besagen. Erst im letzten Teil des Jahres soll aufgrund einiger kürzlich von Präsident Draghi erwähnter Faktoren ein Aufschwung beginnen. Zu diesen zählt die Stützung der Binnennachfrage durch eine entsprechende Geldpolitik der EZB.
Natürlich ist es richtig, auf dem Effekt zu beharren, den eine Reduzierung der öffentlichen Defizite, eine größere Marktöffnung gegenüber der Konkurrenz und den Reformen wie jene des Arbeitsmarktes für Wirtschaftswachstum und die Schaffung von Beschäftigungsmöglichkeiten hervorbringen können.


Dennoch muss man sich nachdrücklich dafür einsetzen, auch mehr Raum für investitions- und beschäftigungspolitische Maßnahmen auf europäischer Ebene zu finden. Diese müssen mit einer dauerhaften Sparpolitik und Kontinuität bei der Überwindung der Schuldenkrise der Staaten in der Eurozone vereinbar sein. Es ist auch absehbar, dass das Europäische Parlament - bei der Überprüfung des Einigungsentwurfs über den Haushalt der Union - auch die Frage einer möglichen konkreten Umsetzung verschiedener Maßnahmenprogramme in strategischen Bereichen aufwirft, die schon vor längerer Zeit von der Kommission erarbeitet und angekündigt wurden.
Entscheidend für die Schaffung eines Vertrauensklimas im europäischen Aufbau ist es, in diesen Krisenzeiten die Aufmerksamkeit verstärkt auf die Verschärfung von Ungleichgewichten und sozialen Problemen, auf Armutsrisiken und Schwierigkeiten durch den Ausschluss großer Schichten jüngerer Menschen aus dem Arbeitsmarkt zu richten. In einer Europäischen Union, die sich die Strategie und die Werte einer sozialen Marktwirtschaft zu eigen gemacht hat, kann man nicht umhin, angesichts der Entstehung eines schweren sozialen Problems in Europa Alarm zu schlagen. Seine wichtigste Erscheinungsform scheint die Tendenz unserer Wirtschaften, oder eines Teils von ihnen, zu sein - auch in Wachstumsphasen - weniger Arbeitsplätze, geringfügige oder schlechte Beschäftigung zu schaffen.
Vorrangig ist es daher zu handeln, um effiziente Antworten auf diese Fragen der sozialen, finanziellen und wirtschaftlichen Krisen zu geben, die noch das Leben unseres Europas bestimmen und beherrschen. Ich denke jedoch, dass wir zwei weiteren Erfordernissen Aufmerksamkeit schenken und uns kurz- und mittelfristig für sie einsetzen müssen.
Zunächst besteht die Notwendigkeit - in der Beziehung mit den Bürgern, der öffentlichen Meinung und den Vertretungsorganen unserer Länder - das Image des europäischen Integrationsprojektes und -prozesses in all ihrem Reichtum sowie das Bewusstsein dafür wiederherzustellen. Ich werde niemals müde zu wiederholen, dass wir in sechzig Jahren und mehr nicht nur das Europa des gemeinsamen Marktes ohne Grenzen und Hindernisse, das Europa des noch zu vollendenden Binnenmarktes geplant und aufgebaut haben; und auch nicht nur das Europa der einheitlichen Währung, das sich heute sogar an dem weiteren Horizont der Wirtschafts- und Währungsunion ausrichtet.


Wir haben ein Europa des Friedens geplant und aufgebaut, indem wir aggressive und destruktive Nationalismen abgelehnt haben; ein auf die Werte der Freiheit und der Demokratie gegründetes Europa, Werte die untrennbar mit all den anderen verbunden sind, die in der historischen Erfahrung der westlichen Zivilisation hinzugekommen sind; das Europa des Gemeinschaftsrechts als völlig neues und einzigartiges Rechtsgebäude; das Europa der Grundrechtecharta; das Europa des Raumes der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts.
Um es nochmals mit Monnet zu sagen: Wir bilden keine Koalition von Staaten, sondern führen Menschen zusammen in großen Strömen der Freizügigkeit von Personen, Begegnungen und dem Austausch der Jugend.
Und wir haben ein geeintes Europa konzipiert, als Protagonist im internationalen Leben mit einer eigenen gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik.
Das Bewusstsein für dieses komplexe, unverzichtbare Erbe der Errungenschaften und Möglichkeiten muss unablässig weiter genährt werden, gerade in den Köpfen der neuen Generationen: immer, auch wenn wir von quälenden finanziellen und wirtschaftlichen Notlagen beherrscht werden.


Auch wenn man vorrangig die Ziele einer echten Wirtschafts- und Währungsunion verfolgt, muss als zweite Notwendigkeit von vitaler Bedeutung die Legitimierung des Konsenses und der Beteiligung gelten, auf die sich die Union stützen muss, wenn sie Ausdruck und Garantie der Demokratie sein will. Und hier stellt sich heute mehr denn je unausweichlich die Frage der Institutionen, der Regeln, der Vertretungs- und Ausdruckskanäle des Volkswillens, der Vorstellungen und Bestrebungen der Bürger. In diesem Bereich sind Unzulänglichkeiten und Verzerrungen entstanden, die weitgehend Auslöser für die Ernüchterung und das Misstrauen gegenüber dem europäischen Aufbauwerk sind.
Als Vorsitzender des Ausschusses für Verfassungsfragen des Europäischen Parlaments hatte ich vor Jahren Gelegenheit, mich mit dem Thema des "demokratischen Defizits" - damals nannte man es so - auseinanderzusetzen, und ich stieß auf die These der "output legitimacy". Die Europäische Union würde sich also durch das legitimieren, was sie an konkreten Ergebnissen, an greifbaren Errungenschaften hervorbringt; wenn sie Konsens hervorbringt und folglich übernimmt, löst sie de facto das Problem ihrer Legitimation. Eine meines Erachtens inakzeptable These, auch wenn diese in den "goldenen Jahrzehnten" des wirtschaftlichen Wachstums und zivilen Fortschritts im gemeinschaftlichen Europa breiteste Zustimmung fand.
Nein, wir brauchen in den europäischen Institutionen eine neue, viel besser erkennbare und befriedigendere Ordnung und Verfahrensweise, wir brauchen eine substantielle Europäisierung der Politik und der politischen Parteien; einen offenen und vitalen europäischen öffentlichen Raum; eine politische und soziale Dialektik, die das erstickende nationale Umfeld überwindet, um ebenfalls wirklich europäisch zu werden.
Entscheidender Teil einer Entwicklung in diesem Sinne ist die Stärkung der parlamentarischen Dimension der Union. Sie muss über die bereits erzielten Fortschritte bei der Anerkennung der Rolle und der Befugnisse des Europäischen Parlaments und auch über die noch mühsame Verbindung zwischen ihm und den nationalen Parlamenten hinausgehen. Aber auch das reicht noch nicht aus. An Dringlichkeit - dem ausweichen zu wollen, wäre vergeblich - gewinnt das Thema einer Neubetrachtung der institutionellen Architektur der Union, einer kohärenteren Ausgestaltung dieser Architektur, der "Konstitutionalisierung", die 2002-2003 auf unvollkommene Weise versucht wurde und dann scheiterte. Und dieses Thema insgesamt bildet eine Einheit mit demjenigen, von dem ich ausgegangen bin: der Politischen Union.


«Meine Vision - erklärte vor einigen Monaten die deutsche Bundeskanzlerin Merkel - ist die politische Union»; und dann beschrieb sie in großen Zügen das, was «die zukünftige Gestalt der politischen Union Europas sein» könnte, «in einiger Zukunft, wie gesagt, und nach vielen Zwischenschritten». Wichtige Worte, auch weil die entworfene Ordnung - einschließlich einer zunehmenden Übertragung von Kompetenzen auf die Kommission als europäische Regierung - nicht weit entfernt scheint von der eines föderalen Europas.
Die Frage ist also folgende: Mit welchen «Zwischenschritten» will man anfangen und wann? Oder als Alternative zu dieser Möglichkeit einer schrittweisen Veränderung, glaubt man - wenn auch mit einer Klarstellung der Etappen und Zeitvorgaben - von nun an bis zur Europawahl 2014 den notwendigen Konsens erzielen zu können, um über die Einberufung eines Konvents ad hoc die Debatte über einen neuen Verfassungsvertrag, über ein regelrechtes "Grundgesetz" der Union in Gang zu bringen? Die Antwort auf diese Frage, die Wahl zwischen diesen beiden Wegen verlangt eine sehr ernsthafte Reflexion ohne vorgefasste Positionen, eine sehr aufmerksame und verantwortungsvolle politische Bestandsaufnahme. Im Moment glaube ich nur sagen zu können, dass man diese Reflexion einleiten muss, dass man sie nicht als Luxus betrachten darf, der ruhigeren Zeiten vorbehalten bleiben sollte. Denn sie ist der wichtigste Prüfstein für die Entstehung und Konsolidierung einer neuen europäischen Führung, die wir - wie hier in meiner vielleicht zu langen Lecture gesagt - unbedingt brauchen.

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